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Geschichte des Mülsengrundes von Dr. Roland Müller
Fast parallel östlich der Zwickauer Mulde entlang erstreckt sich der idyllisch im Tal am Mülsenbach gelegene Mülsengrund mit einer Länge von etwa 15 Kilometern. Er umfasst die Orte Ortmannsdorf, Mülsen St. Niclas, Mülsen St. Jacob, Mülsen St. Micheln, Stangendorf, Thurm, Niedermülsen und Wulm. Ortmannsdorf bildet die südliche, Wulm die nördliche Begrenzung der Mülsener Talsohle. Östlich grenzt der Mülsengrund an den Kreis Glauchau.
Während sich im oberen Teil des Mülsengrundes - in vergangenen Jahrhunderten oft auch Obermülsen genannt - beiderseitig entlang des Tales Höhenzüge erstrecken, ist der untere Mülsengrund flachlandähnlich charakterisiert.
"Mülsen", vor Jahrhunderten als "Mulsin", "Milssein" beziehungsweise "Milsen" erwähnt, deutet darauf hin, daß dieser Begriff keltischer Herkunft ist, wo "Milda" Großes Wasser und "Mildsena" kleines Wasser bedeutet.
Über die Besiedlung des Tales am Mülsenbach gibt es lediglich hypothetische Aussagen. Es ist anzunehmen, daß sie im 12. Jahrhundert erfolgte. Der erste Herrscher, der dem Gebiet östlich der Mulde Beachtung schenkte, war Barbarossa. Er stellt die Herrschaften Glauchau und Lichtenstein unmittelbar unter seine Herschaftsgewalt.
Die Herrschaft Hartenstein, im Besitz des Geschlechts der Meinheringer, war schon vor 1157 kaiserliches Lehen. Es ist möglich, daß das Geschlecht der Meinheringer an der Gründung des Dorfes Mülsen in bedeutendem Maße beteiligt war.
"Dem Rufe des Grafen zu Hartenstein folgend, zogen deutsche Siedler in den noch von Wald bedeckten Grund und gründeten hier ein deutsches Waldhufendorf, welches sie nach dem den Grund durchfließenden Bach Mülsen nannten. Nach und nach entstanden feste Höfe, aus Wohnhaus, Schuppen, Stallungen und Scheunen bestehend. Hinter jedem Gut erstreckten sich Wiesen und Felder in sanftgewellten Linien bis an den mit Wald bedeckten Höhenrücken." So ist es in der Festschrift vom 300jährigen Kirchenjubiläum mit Heimatfest in Mülsen St. Niclas vom Jahre 1936 beschrieben.
Im Jahre 1219 wird bereits ein Albertus von Ortwinestorf erwähnt, so daß in dieser Gemeinde im Jahre 1994 das 775jährige Ortsjubiläum gefeiert wurde.
Die Gründung des Dorfes Mülsen könnte in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts geschehen sein. In der Abschrift einer lateinischen Urkunde vom 21. Dezember 1316 ist von einem "Dn. Heinricus plebanus in Mulsin..", also dem katholischen Geistlichen Pleban Heinrich von Mülsen die Rede. Es ist das bisher einzig existierende historische Dokument, das auf das Vorhandensein der oberen Mülsendörfer aufmerksam macht. Die Ortsbezeichnung Mülsen St. Niclas resultiert aus dem Heiligen Nicolaus. Mülsen St. Jacob leitet sich vom Apostel Jacobus und Mülsen St. Micheln vom Erzengel Michael ab.
Beide Orte finden erstmals 1421 ihre Erwähnung. In schriftlichen Überlieferungen wird die Gemeinde "Stangendorff" erstmalig im Jahre 1460 genannt. Zum ersten Mal wird die Gemeinde Thurm im Jahre 1320 als "Ecclesia in Turri" erwähnt. Archivalien, die erstmalig auf den Ort Niedermülsen aufmerksam machen, datieren vom Jahre 1453.
Die Mülsengrunddörfer gehörten bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts zur Grafschaft Hartenstein und somit zum Burggrafen in Meißen. Am 2. Juli 1406 verkaufte der Meißner Burggraf Heinrich, zugleich Graf von Hartenstein, das Schloß und die Herrschaft Hartenstein an Veit von Schönburg. Damit ging der gesamte Mülsengrund in die Hände der Feudalherren von Schönburg-Glauchau über. Die einzelnen Mülsengrunddörfer waren verwaltungsmäßig den einzelnen schönburgischen Herrschaften und Ämtern unterstellt.
Niedermülsen zählte zur Rittergutslehnschaft Thurm. Einige Untertanen aus gleichem Ort gehörten zur Herrschaft in Glauchau. Stangendorf und Mülsen St. Micheln leisteten ihren Frondienst für das Amt Lichtenstein und hatten nach dort ihre Zinsen abzugeben. Die Einwohner von Mülsen St. Jacob und Mülsen St. Niclas waren Untertanen der Herrschaft Hartenstein. Ortmannsdorf zählte zu den Herrschaften Wildenfels und Hartenstein beziehungsweise Lichtenstein und Stein. (Deshalb haben heute noch viele Ortmannsdorfer Telefonanschlüsse die Lichtensteiner Vorwahl :-) Der Ortsteil Neudörfel von Ortmannsdorf wechselte seine Zugehörigkeit zwischen den Ämtern Lichtenstein, Hartenstein, Stein und andere.
Die Mülsengrunddörfer waren Jahrhunderte reine Bauernsiedlungen. Erst im 16. Jahrhundert bildeten sich in den einzelnen Gemeinden am Mülsenbach Gärtner- und Häusleranwesen heraus. Bis zum gleichen Zeitraum reicht die Entstehung der ersten Mühlen im Mülsengrund zurück.
Im 17. Jahrhundert wurde die Handweberei zum handwerksmäßigen Erwerb in den Orten des oberen Mülsengrundes. Im unteren Teil des Tales blieb der rein bäuerliche Charakter der Dörfer weiterhin erhalten.
Im 19. Jahrhundert vollzog sich die Entwicklung der mechanischen Weberei im oberen Mülsengrund. Damit in Verbindung stand die Herausbildung kleinerer und mittlerer Betriebe in den Gemeinden Mülsen St. Micheln, Mülsen St. Jacob, Mülsen St. Niclas und Ortmannsdorf. Diese Orte erhielten Züge von Industrie-Dörfern.
August Bebel weilte in den siebziger Jahren und später des vorigen Jahrhunderts des öfteren in den Mülsengrundgemeinden. Als sozialdemokratischer Abgeordneter des 17. Reichstagswahlkreises Glauchau-Meerane prangerte er im Reichstag die Ausbeutung und Not der Mülsener Weber an. Das verdeutlichte er auch in seiner Broschüre "Wie unsere Weber leben".
Im 19. Jahrhundert entfalteten sich in den Mülsengrunddörfern zusehends kleine Handwerksbetriebe verschiedener Gewerbe, Gasthöfe und private Läden; ein Prozeß, der sich auch im 20. Jahrhundert fortsetzte. Der Entwicklung von Industrie, Handwerk und Handel im Mülsengrund in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam die Schmalspurbahn von Ortmannsdorf nach Mosel zugute. Nach vierjähriger Bauzeit konnte am 1. November 1885 die Mülsengrundbahn in Betrieb genommen werden, deren letzte Fahrt am 20. Mai 1951 stattfand.
So können im Mülsengrund Textilindustrie, Elektromotorenproduktion, bäuerliche Wirtschaft, Handwerk, Handel und Gaststätten auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken. Tausende Bewohner der Mülsengrundgemeinden waren im Bergbau in Zwickau und Oelsnitz/Erzgeb., in der Zwickauer Automobil- und Textilindustrie bzw. in Textilbetrieben in Lichtenstein und Glauchau tätig.
Reich sind die Mülsengrundgemeinden an historischen Bauwerken, vor allem an altertümlichen Fachwerkhäusern, deren Alter manchmal über 200 Jahre zählt. Eines von ihnen ist das Härtel-Haus in Mülsen St. Jacob. Zu den geschichtlichen Werten des Mülsengrundes gehören gut erhaltene Bauerngehöfte und Dorfschmieden, die jahrhundertealte Tradition verkörpern und für zukünftige Generationen erhaltenswert sind.
Einzelne Persönlichkeiten leisteten einen maßgeblichen Beitrag für das Kulturleben. Unter ihnen sind vor allem der Niclaser Orgelbaumeister Johann Jakob Schramm, der Heimatforscher und Schriftsteller Otto Max Sachse aus Mülsen St. Jacob und der Heimatdichter Gottlieb Thümmler aus Mülsen St. Niclas zu nennen.
Unter den Kulturdenkmälern des Mülsengrundes nehmen die jahrhundertealten Kirchen in Ortmannsdorf, Mülsen St. Niclas, Mülsen St. Jacob, Mülsen St. Micheln und Thurm einen erstrangigen Platz ein.
Badelustige fühlen sich jährlich zum herrlich gelegenen Freibad am Wald in Mülsen St. Niclas hingezogen. So ist das Tal am Mülsenbach ein lohnendes Wanderziel, von wo aus gleichzeitig zahlreiche Wanderrouten ausgehen und in ruhige erholsame Waldgebiete führen.
Nicht zuletzt macht das Vereinsleben den Mülsengrund attraktiv, das bis zur Errichtung des NS-Regimes in Deutschland im Jahre 1933 über die Mülsengrundgrenzen bekannt war und das sich wiederum seit 1990 in den einzelnen Gemeinden zügig entwickelt. Allein in Mülsen St. Niclas gibt es 14 Vereine, die auf das Dorfleben aktiven Einfluß ausüben und dadurch dieses Dorf im Jahre 1992 mit dem Titel "Schönstes Dorf des Landkreises Zwickau" geehrt werden konnte.
Sich mit den reichen historischen Traditionen und zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Mülsengrunddörfer bekannt zu machen und ihre idyllische Tallage kennenzulernen sowie sich in ihrer herrlichen Umgebung zu erholen, ist einer Reise wert.
Quelle: Regionalmagazin Mülsengrund, Westsachsen Verlag GmbH, August 1993